AfD und Bildungspolitik

Die „Alternative für Deutschland“ (AfD) gibt sich gern als „Anti-Establishment-Partei“. Ihre Bildungspolitik gestaltet sich als Schutzprogramm für konservative Eliten.

„Mut zur Leistung!“ Raffiniert, wie er nun mal ist, wandelt Joachim Paul das bekannte AfD-Motto „Mut zur Wahrheit“ für seine Pressemitteilung vom 2. November 2016 ab. Paul ist in Zugzwang geraten: Er ist bildungspolitischer Sprecher der AfD-Fraktion im Landtag von Rheinland-Pfalz; alle Welt spricht gerade über die „Bildungstrend“-Studie, die das Institut zur Qualitätsentwicklung im Bildungswesen (IQB) an der Berliner Humboldt-Universität soeben vorgelegt hat – alle Welt, nur nicht die AfD. Paul muss also ran, wirft einen kühlen Kennerblick auf die IQB-Daten und stellt fest: Das Bildungsniveau in Rheinland-Pfalz ist „nur Mittelmaß“. Mittelmaß! Das kann ja wohl nicht angehen. „Mit Mut zur Leistung wollen wir Rheinland-Pfalz an die Spitzengruppe heranführen“, kündigt der Koblenzer Gymnasiallehrer lautstark an und fährt fort: „Deshalb muss den rot-grünen Bildungsexperimenten ein Ende gesetzt werden.“

Abschottung nach unten

Die Bildungspolitik der AfD ist vor allem eines: Sie ist im Wortsinne reaktionär. Das allerdings ist sie konsequent und in jeder Hinsicht. Zunächst betrifft dies die Bildungsmobilität. Die ist in Deutschland ohnehin schwach ausgeprägt. Das zeigt sich schon in der Grundschule, die Kinder faktisch nach sozialer Herkunft sortiert. „Noch immer haben Jugendliche aus der Oberschicht ungefähr dreimal so hohe Chancen, ein Gymnasium anstelle einer Realschule zu besuchen, wie Jugendliche aus Arbeiterfamilien“, stellte im Jahr 2010 eine vom Bildungsministerium publizierte Studie fest, „und zwar auch dann, wenn man nur Schülerinnen und Schüler mit gleicher Begabung und gleichen Fachleistungen vergleicht“. Auch in Realschulen und Gymnasien bleibe „der Bildungserfolg … weiterhin stark von der sozialen Herkunft abhängig“, konstatierte die Bertelsmann-Stiftung Ende 2014. Bereits 2013 hatte die jüngste Sozialerhebung des Deutschen Studentenwerks ergeben, dass zwar 71 von 100 Akademikerkindern studierten, aber nur 24 von 100 Kindern ohne akademische Familientradition. Das bundesdeutsche Bildungssystem sorgt nach wie vor für die Abschottung der vermeintlich „besseren Kreise“ gegenüber den Unterschichten.

Der deutsche Bildungs-Sozialkonservatismus ist freilich kein Naturgesetz. Andere Länder haben längst eine höhere soziale Mobilität in Schulen und Hochschulen erreicht; im September 2014 hielt die Organisation for Economic Co-operation and Development (OECD) dann auch fest, in Deutschland sei die Bildungsmobilität „so gering wie in kaum einem anderen OECD-Land“. Dennoch: Schlimmer geht immer, jedenfalls mit der AfD. Die Partei verdammt die Versuche der vergangenen Jahre und Jahrzehnte, soziale Barrieren in deutschen Schulen und Hochschulen abzubauen, als „rot-grüne Bildungsexperimente“ (Paul) oder gar als „68er Kulturrevolution“ (Björn Höcke). Soll man das preußisch gegliederte Schulsystem auflösen, um der sozialen Ungleichheit den Kampf anzusagen? Auf keinen Fall: „Das Experiment der Gemeinschaftsschule ist gescheitert, darum muss das gegliederte Schulsystem gerade jetzt erhalten werden“, heißt es im Wahlprogramm der AfD Rheinland-Pfalz. Die Einheitsschule „bedroht die Zukunftsfähigkeit junger Menschen und die Konkurrenzfähigkeit unserer Wirtschaft“, liest man im AfD-Parteiprogramm. Joachim Paul, bereits erwähnter AfD-Bildungspolitiker und „Alter Herr“ der extrem rechten Alten Breslauer Burschenschaft der Raczeks zu Bonn, will gleich auch noch „die Einrichtung eines Testverfahrens als ‚Einlassventil‘ für die gymnasiale Oberstufe prüfen“.

Leistungsbezogene Auswahl

Eliten schützen? Ja, bitte! Der sozialreaktionäre Charakter der AfD-Bildungspolitik zeigt sich auch an ihren Forderungen für die deutschen Hochschulen. Dort studiert, glaubt man der Partei, inzwischen jeder Depp. In ihrem Parteiprogramm fordert die AfD klare Zugangsbeschränkungen – „leistungs- und eignungsbezogene Auswahlverfahren für verschiedene Hochschultypen“. Schon im Europawahlprogramm vom Frühjahr 2014 hatte sie verlangt, „von einer undifferenzierten, politisch verordeten Erhöhung der Akademikerquote in der EU abzusehen“. Maximal 25 Prozent eines Gymnasialjahrgangs sollten für ein Hochschulstudium zugelassen werden, fordert der thüringische AfD-Sprecher und Ex-Lehrer Höcke. Auch sonst tritt bei der AfD blanker elitärer Standesdünkel zutage. Nur Universitäten und Hochschulen mit Universitätsstatus dürften „das Promotions- und Habilitationsrecht besitzen“, die als rangniedriger bewerteten Fachhochschulen hingegen nicht, heißt es im AfD-Programm. Zudem müssten die Hochschulen „über Art und Umfang ihres Studienangebotes frei entscheiden können“. Vor allem aber habe die Wissenschaft künftig wieder „frei von ideologischen Zwängen“ zu sein.

Patriotische Zwänge

Ideologische Zwänge? Die Bildungspolitik der AfD ist nicht nur unsozial, sie ist selbstverständlich auch politisch reaktionär. „Förderung der ‚Gender-Forschung‘ beenden“, verlangt das Parteiprogramm: „Bund und Länder dürfen … keine Sondermittel für die Gender-Forschung mehr bereitstellen“; die „Gender-Ideologie“ sei „zu stoppen“. Das gilt nicht nur für Universitäten, sondern auch für Schulen. „Eine einseitige Hervorhebung der Homo- und Transsexualität im Unterricht lehnen wir ebenso entschieden ab wie die ideologische Beeinflussung durch das ‚Gender-Mainstreaming’“, heißt es im Parteiprogramm. Lediglich Männer müssen laut Auffassung der AfD gefördert werden. „Der Internationale Männertag sollte auch in Deutschland eingeführt werden“, erklärt Burschenschafter Paul: „Gerade im Bildungsbereich ist eine Benachteiligung von Buben und jungen Männern festzustellen.“ Paul will zudem „Gefühle von Stolz“ auf die „Heimat“ wecken. Man solle „unsere Schüler“ zu „Patrioten erziehen“, schlägt er vor; die „Stiftung von Identität“ – natürlich von deutscher – müsse in Zukunft ein „Lernziel“ sein.

Back to the Prussian roots – dieses Ziel lässt sich vielleicht am deutlichsten an Passagen aus dem Wahlprogramm der AfD Sachsen-Anhalt vom Frühjahr 2016 ablesen. „Schule ist auch eine Sozialisationsinstanz“, heißt es darin; deswegen müssten dort wieder „die klassisch preußischen Tugenden … vermittelt werden“, als da wären: „Geradlinigkeit, Gerechtigkeitssinn, Ehrlichkeit, Disziplin, Pünktlichkeit, Ordnungssinn, Fleiß und Plichtbewusstsein“. „Um solche Tugenden zu vermitteln, bedarf es Autorität“, heißt es weiter, „weshalb die Stellung des Lehrers auch und gerade schulrechtlich zu stärken ist“. Und, last but not least: Laut der AfD Sachsen-Anhalt müssen dringend „die Lehrpläne überarbeitet werden“, damit in Zukunft „ein grundsätzlich positiver Bezug zum eigenen Land und eine gefestigte Nationalidentität“ vermittelt wird. „Die deutsche Geschichte und die Geschichte Sachsen-Anhalts“, heißt es im sachsen-anhaltinischen AfD-Wahlprogramm, „bieten genügend Anknüpfungspunkte, auf die wir uns mit Stolz berufen können.“ Na dann.

Anmerkung: Dieser Text von Jörg Kronauer erschien unter dem Titel „Eliten? Ja, bitte! Die Bildungspolitik der AfD“ in der Sonderausgabe #4/2017 der Zeitschrift LOTTA.