Wofür steht Martin Schiller?

Die „Westfälischen Nachrichten“ haben ein Porträt des AfD-Funktionärs Martin Schiller, den Direktkandidaten seiner Partei zur Bundestagswahl in Münster, veröffentlicht. [1] Daran ist insofern nichts auszusetzen, als dass die Tageszeitung auch die anderen Direktkandidaten vorstellt. Problematisch ist allerdings das Bild seiner Person, dass Schiller in dem Artikel zeichnet: Er sei ein lokaler mittelständischer Unternehmer aus der Textilindustrie, der zeitweise in Mexiko tätig war. Der Zeitung hat er sogleich sein „Lieblingsfoto“ zur Verfügung gestellt, das ihn mit einigen seiner mexikanischen Angestellten zeigt. Folglich, so die unterschwellige Botschaft, kann er ja kein Rassist oder Rechtsradikaler sein. Schiller behauptet, dass er sich vom „stumpfen Nationalismus“ seines Parteikollegen Björn Höcke distanziere und will seine Partei politisch dort angesiedelt sehen, wo früher die CDU gestanden habe, „bevor sie unter Merkel nach links driftete“. Zugleich erklärt er, dass er Migration für falsch halte, weil ein Sozialstaat ohne Grenzen nicht funktioniere.

Ist Martin Schiller also lediglich ein konservativer, honoriger Kaufmann, der sich um die Zukunft des deutschen Sozialstaat Sorgen macht? Nichts könnte falscher sein als das, wie wir an wenigen Punkten verdeutlichen wollen.

Martin Schiller will den Sozialstaat nicht schützen, sondern abbauen. Damit liegt er auf der Linie seiner Partei, deren Ziel ein „Minimalstaat“ ist, der zwar dem Unternehmen die notwendige Infrastruktur zur Verfügung stellen und die „Sicherheit und Ordnung“ mit repressiven Mittel aufrecht erhalten soll, aber zugleich Arbeitsverhältnisse möglichst wenig reglementieren soll. Die Steuern für Unternehmen und Wohlhabende sollen reduziert und aus öffentlichen Aufgaben wie Wohnungsbau und Energieversorgung soll sich der Staat möglichst zurückziehen. Die Führung der AfD hat radikale Pläne, die Renten-, Arbeitslosen-, Kranken- und Unfallversicherung umfangreich zu privatisieren. [2] Dass diese Pläne letztendlich nur in abgeschwächter Form im Grundsatzprogramm der AfD aufgenommen wurden, war Ergebnis eines innerparteilichen Streits und dem Kalkül geschuldet, dass dieses Programm des radikalen Sozialabbaus einen großen Teil der Wähler*innen vermutlich abschrecken würde.

Martin Schiller steht aber für genau dieses marktradikale Programm. Zwei Beispiele werden dies verdeutlichen.

1.) Martin Schiller fordert die Gewerbesteuer abzuschaffen, die auf die Gewinne von ansässigen Unternehmen erhoben wird. Dies äußerte er u.a. bei einer Gesprächsrunde des Bundesverbandes mittelständische Wirtschaft, Unternehmerverband Deutschlands e.V. (BVMW) am 30. August 2017 in Münster. Für Schiller würde dies bedeuten, dass er persönlich Steuern sparen und mehr Geld mit seinem Unternehmen verdienen würde.

Den Kommunen würde eine Abschaffung der Gewerbesteuer aber eine der wichtigsten Einnahmequellen nehmen. Die Städte und Gemeinden fehlt dann das Geld, um wichtige öffentliche Aufgaben zu finanzieren. Dann ist kein Geld mehr da für Schwimmbäder, Kindergärten, Kulturförderung, Jugendarbeit und vieles mehr. Schiller möchte, dass stattdessen Bürger*innen freiwillig ihnen genehme Projekte sponsern. Das führt natürlich dazu, dass die Kommune abhängig wird vom guten Willen ihrer wohlhabenden Einwohner*innen. Dann gibt es vielleicht ein Schwimmbad und tolle Spielplätze in Mauritz, aber nichts Vergleichbares in Coerde, weil sich dort keine edle Spender*in fand.

2.) Überhaupt die Kindergärten und Kindertagesstätten. Denen steht Martin Schiller äußerst feindlich gegenüber. Seiner Ansicht nach soll der Staat, in diesem Fall die Kommunen, die Betreuung für Kleinkinder in KiTas nicht fördern. Hier trifft sich Schillers marktradikales Weltbild mit seinen verkrusteten und frauenfeindlichen Vorstellungen von Familienpolitik. [3] In seiner Haushaltsrede im Rat der Stadt Münster führte er dazu aus:

„Katastrophal aber auch eine völlig falsche und familienfeindliche KitTa-Vollversorgungspolitik, die nur eines zum Ziel hat, den Eltern möglichst früh die Kinder zu entreißen und sie einer staatlich organisierten Erziehungsanstalt zu übergeben. Die Politik der Fremderziehung von Kleinstkindern produziert bindungsunfähige, charakterschwache Persönlichkeiten und lernschwache, verhaltensauffällige Schüler. Diese einseitig staatlich hochsubventionierte Familienpolitik ist langfristig schädlich und sie ist teuer zugleich.“

Für Schiller wird in KiTas also keine professionelle Betreuung geleistet, sondern Kinder werden in ihrer Entwicklung und Persönlichkeit geschädigt. Man beachte auch seine Wortwahl „staatlich organisierte Erziehungsanstalt“, die sicher nicht zufällig Assoziationen mit Knast und geschlossenen Heimen erweckt. Belege für seine ungeheuerlichen Diffamierungen, liefert Schiller natürlich nicht. Aber er ist konsequent, denn immer wenn im Rat der Stadt Münster über eine dringend benötigte neue KiTa abgestimmt wird, stimmt er dagegen.

Angenommen, die Kommune würde dem Willen Schillers entsprechen und keine Kindertagesstätten mehr fördern, die Folge wäre, dass sich für die meisten Eltern Familie und Beruf nicht mehr vereinbaren ließe. Nur wer genug Geld hat, könnte sich privat eine Betreuungskraft leisten. Das ist dann ganz im Sinne Schillers Doktrin „Das regelt der Markt“. Allen anderen bliebe nur, dass die Betreuung von einem Elternteil oder der Familie geleistet wird. Dies wird dann vor allem Frauen treffen. Und dies ist genau im Sinne der AfD, die Frauen am liebsten in der Rolle der „treu sorgenden Hausfrau“ sieht, die sich um die Kinder zu kümmern hat.

In Wirklichkeit will die AfD also selbst den Sozialstaat zerlegen, aber als Sündenbock präsentiert sie den Wähler*innen Flüchtlinge und Migrant*innen. Nur wenn diese an den Grenzen abgewehrt würden, hätte der Sozialstaat noch eine Zukunft, so die von Schiller und Seinesgleichen verbreitete Behauptung.

3.) Bleibt die Frage, was von Schillers Distanzierung vom „stumpfen Nationalismus“und der Behauptung, er wolle, dass die AfD im politischen Raum den vormaligen Platz der CDU einnehme, zu halten ist. Da wäre erstens die Tatsache, dass Schiller keine Berührungsängste mit Parteien wie dem „Front National“ oder mit Geert Wilders hat. Als sein Landesvorsitzender Marcus Pretzell diese im Frühjahr zu einer AfD-Veranstaltung nach Koblenz einlud, um die Einigkeit der europäischen Rechtsaußen zu demonstrieren, führte Schiller als Moderator durch die Veranstaltung. . Egal, was man von der CDU politisch halten mag, ihre Politik und ihre Rhetorik unterschied sich doch von der Hetze, die seitens le Pens und Wilders verbreitet wird.

Mit seiner Distanzierung von Björn Höcke erweckt Schiller den Eindruck, als vertrete nur der Thüringer AfD-Vorsitzende einen „stumpfen Nationalismus“ und sei gewissermaßen ein „Sonderfall“ innerhalb der AfD. Wer aber etwa dem anderen NRW-Landesvorsitzenden und NRW-Spitzenkandidaten zur Bundestagswahl, Martin Renner, zuhört, dem fällt auf, dass dieser dieselbe Ideologie und sogar eine fast identische Wortwahl wie Höcke benutzt. [2] Renner spricht vom durch den Nationalsozialismus erzeugten „Schuldkult“, von der vor 70 Jahre von den Alliierten begonnenen und bis heute andauernde Umerziehung in Deutschland, vom „Untergang des deutschen Volkes“ durch Migration. Wie Höcke bedient sich Renner bei den Ideen der so genannten „Neuen Rechten“ und deren historischen Vorläufern, der protofaschistischen Rechten der Weimarer Republik. Von Renner distanziert sich Schiller nicht, sondern lädt ihn als Vortragsredner nach Münster ein. [3]

Warum auch distanzieren? Worin soll sich denn der „stumpfe Nationalismus“ vom Nationalismus eines Martin Schiller überhaupt unterscheiden? Wer einmal die Gelegenheit hatte, Martin Schiller zuzuhören oder mit ihm zu sprechen, der ist mit demselben Gedankengut konfrontiert. Auch Schiller beschimpft politische Gegner*innen als „linksgrünversifft“, sieht eine „linke Indoktrination“ an der Tagesordnung, fürchtet, dass das deutsche Volk „ausgetauscht“ werde. Menschen, die eine dunklere Hautfarbe haben als er selbst, bezeichnet er abschätzig als „Neudeutsche“ und macht deutlich, dass sie in seinen Augen eigentlich keinen Platz in diesem Land haben. Martin Schiller vertritt selbst einen völkischen Nationalismus. [4]

 

Anmerkungen

[1] http://www.wn.de/Muenster/2977027-AfD-Bundestagskandidat-Martin-Schiller-Sozial-Staat-ohne-Grenzen-funktioniert-nicht

[2] siehe dazu z.B. Katharina Nocun „Wie sozial ist die AfD wirklich?“ (http://www.weiterdenken.de/de/2016/06/21/wie-sozial-ist-die-afd-wirklich); Max Bank: „Von wegen ‚gegen die Elite‘. Die AfD-Sozialpolitik ist eine Hommage an die Reichen“ (https://www.lotta-magazin.de/ausgabe/65/von-wegen-gegen-die-elite); Stefan Dietl: „Die AfD und die soziale Frage. Zwischen Marktradikalismus und ‚völkischem Antikapitalismus’“ (Unrast-Verlag Münster, 2017)

[3] zur Frauen- und Familienpolitik der AfD siehe unseren Text: https://keinestimmederafd.noblogs.org/hintergrund/afd-und-frauen-familienpolitik/

[4] ein interessantes Porträt von Renner findet sich hier: https://www.lotta-magazin.de/ausgabe/65/martin-renner-0

[5] eine Veranstaltung mit Renner im Dezember 2016 konnte allerdings nicht stattfinden, da nach antifaschistischer Information ein Münsteraner Gastwirt es vorzog, seine Räume nicht länger an die AfD zu vermieten. Im August 2017 sprach Renner dann in Hiltrup.

[6] Der Sozialwissenschaftler Helmut Kellershohn führt zum Begriff des völkischen Nationalismus aus: „Die Vorstellung des Volkes als einer Abstammungs- und generationsübergreifenden „Zeugungsgemeinschaft“ ist konstitutiv für völkisches Denken. Durch die genealogische Rückbindung an einen freilich nur mythisch zu fassenden Ursprung (im Kontext etwa der Germanenideologie) sowie die Unterstellung einer sich, trotz aller ‚Überfremdungs’-Vorgänge, durchhaltenden ethnisch-kulturellen bzw. ‚rassischen’ Homogenität wird das Volk zu einem überzeitlichen Kollektiv-Subjekt hypostasiert, dem die Individuen (die ‚Deutschen’, die ‚Italiener’ etc.) untergeordnet sind. Sie werden im Wesentlichen nur als Teil dieses quasi-sakralen Volkes wahrgenommen. Das Attribut völkisch drückt, so Günter Hartung, eine „verabsolutierende Beziehung zum eigenen Volk aus, in der dieses die Stelle eines obersten Wertes“ (Hartung 1987, 1175f.) einnimmt.“(https://www.diss-duisburg.de/2017/06/volk-voelkisch-voelkische-bewegung/)
Im Sinne des völkischen Nationalismus ergibt sich die Zugehörigkeit einer Person zu einer Nation nicht durch ihren Wohnort auf dem Territorium eines Nationalstaates bzw. durch den Besitz eines Passes dieses Nationalstaats, sondern durch eine mythische Abstammung („Blut“, „Herkunft“, „Kultur“). Zwar können völkische Nationalisten schwer positiv definieren, wer zum eigenen Volk bzw. der eigenen Nation gehört, um so besser können sie aber behaupten, wer alles nicht dazugehört, nie dazugehören darf und schlussendlich ausgegrenzt und entrechtetr werden soll. In diesem Sinne sind auch die Äußerungen von Alexander Gauland, dass die SPD-Politikerin Aydan Özoguz in Deutschland nichts verloren habe und in Anatolien „entsorgt“ werden solle.